Netaudio Festival 09, Maria Berlin

Netaudio Lokal/Global

von Konrad Behr

Dieser kleine Artikel entstand mit dem Wunsch bzw. der Nachfrage, die Erfahrungen zu beschreiben, welche ich in den letzten Jahren in dem Feld ‘Netaudio’ gemacht habe. Es ist der Versuch ein paar ungeschönte Antworten zu formulieren (ganz absichtlich werde ich mich dabei nur am Rande mit der Problematik der Verwertungsgesellschaften beschäftigen).

Immer wieder bin ich von der Vielfalt der Veröffentlichungen weltweit überwältigt – allein von denen, die ich durch das Betreuen meiner Netaudio-Info-Plattform clongclongmoo.org (ehemals rowolo.de) kennenlerne. Besucher dieser Webseite erhalten dort täglich neue Informationen zu Veröffentlichungen in der Netzlabelwelt. Betreiber verschiedenster Labels sowie auch Musiker posten selbst ihre Neuigkeiten und Neuveröffentlichungen, verweisen auf Seiten mit Tracks, Alben, Compilations, welche kostenlos und in guter Klangqualität im Netz zu haben sind. Für clongclongmoo.org ist es mir wichtig, dass bestimmte ‘Spielregeln’, eingehalten werden, welche sich über die Jahre als sinnvoll erwiesen haben. Zum Beispiel sind Links zu kommerziellen Plattformen (z.B. Myspace) ebenso unerwünscht wie direkte Downloadlinks zu den Tracks oder ZIP-Files. Wen eine Veröffentlichung interessiert, sollte selbst auf die Homepage des Labels gehen. Notfalls editiere ich selbst ‘unkorrekte’ Einträge.

Die bei mir gepostete Musik versuche ich größtenteils anzuhören, leider stelle ich immer wieder fest, dass auch sehr viel Unfertiges und Unspannendes veröffentlicht wird – zum Glück aber immer wieder Herausragendes und Überraschendes, was ich sonst kaum zu hören bekäme. Nicht zuletzt auf Grund der großen Menge und stilistischer Vielfalt bin ich fast komplett auf den Beschaffungsweg “Freie Musik aus dem Netz” umgestiegen. Deshalb kann und möchte ich kaum mehr qualitative Vergleiche zu Veröffentlichungen des traditionellen/kommerziellen Vertriebs von Musik auf Platte/CD/Shop heranziehen. Wenn ich mich dann doch wieder mal im Plattenladen oder auf kommerziellen digitalen Plattformen im Bereich der aktuellen elektronischen Tanzmusik umschaue (was durchaus passiert), kommt mir  immer häufiger der beruhigende Gedanke, dass ich nichts Wesentliches verpasse.

Dennoch sehe ich die ‘Freie Musik’ nicht als Ersatz des herkömmlichen Vertriebs von Musik – eher als zusätzliche Komponente. Freier, kostenloser, digitaler Vertrieb ist meines Erachtens ein Weg von vielen möglichen Formen, Musik zu veröffentlichen.

Schön, wenn alles kostenlos geht; doch der Bäcker verschenkt bestenfalls nur die harten Brötchen vom Vortag. Ich habe bisher noch keine Musikerin oder Musiker kennengelernt, die oder der kostenlos veröffentlicht, aber trotzdem genug Einnahmen durch Konzerte und Touren hat, um davon zu leben (falls es doch jemanden gibt, würde ich mich freuen von deren Konzept zu hören). Ich ziehe aus dieser Erfahrung dennoch nicht den Schluss, gegen Freie Musik zu argumentieren. Vieles würde unter der Last der Gesetze des Marktes nie unser Ohr erreichen. Gerade in einem politischen und gesellschaftlichen Klima, in dem Auftrittsorte für Non-Mainstream-Musik ums tägliche Überleben kämpfen müssen, ist es schwer Konzerte zu organisieren, bei welchen Geld für die Musiker übrig bleibt. Clubs, Galerien, Offspaces sind oft existentiell bedroht, eben weil sie eben nicht wirtschaftlich profitabel arbeiten (können oder wollen). Weil es eine andere Kunst wird, wenn sie fürs Geld gemacht wird.

Daher ist es für mich wichtig, das Thema Netaudio mit den Produktionsbedingungen zeitgenössischer Kunst und Kultur zu verbinden – mit den Fragen wo und wie Künstlerinnen und Künstler arbeiten und leben. Mit dem Organisieren von Konzerten und Auftritten in denen Musikerinnen und Musiker Netaudio-Musik spielen, bei Vorträgen und auch als DJ nutze ich daher so oft es geht die Gelegenheit, eine Plattform zu bieten und musikalische Alternativen vorzustellen. So bietet sich diese Begleitung bei Veranstaltungen zu Themen wie Selbstorganisation von Kunsträumen und zu Ideen von einen bedingungslosem Grundeinkommen geradezu konzeptuell an.

In der Formulierungen der Creative Commons (CC) sehe eine gute Hilfe – ein gutes Zeichen, welches Alternativen deutlich erkennbar macht. Bei bei allen Vorteilen des nicht kommerziellen Verbreitens von Musik, habe ich den Eindruck, dass diese (CC-Musik) dabei aber nur langsam aus der Nische tritt – nur ganz zögerlich zum Beispiel im Club ankommt. In Gesprächen, beim Auflegen von Freier Musik, fällt mir auf, dass ich oft erklären muss, was ‘CC’ bedeutet. Falls doch mal jemand Bescheid weiß, dann weil die Person oft selbst CC-Musikerin oder CC-Musiker ist und/oder ein Netzlabel betreibt.

Praktische Gefahren für das Verwenden Freier Musik sehe ich dort, worin gleichfalls das Potential liegt – in der Freiheit bezüglich der Lizenzen. Nicht nur einmal traten Organisatoren auf mich zu mit der Bitte zur musikalischen Gestaltung, vor allem mit dem Hintergedanken, GEMA-Gebühren zu sparen. Schade, wenn es die alleinige Motivation wäre und zur Regel werden würde. Netaudio als Futter für GEMA-freie Beschallung! In diesem Zusammenhang kommt mir auch immer die Frage auf, wie es mit der Creative Commons Bedingung und dem bezahlten DJ-ing steht. Ist es eine Lizenzverletzung Musik unter mit dem Hinweis ‘by-nc-nd’ (Namensnennung, Keine kommerzielle Nutzung, Keine Bearbeitung) auf einer Party zu spielen bei dem das Publikum Eintritt zahlt und der DJ Geld bekommt? Wie realisiert der DJ die Namensnennung im Set? Mit einem Megaphon, per Old-School-Disko-Ansage? Ist ein gelungener, mehr-minütiger Crossfade in einem DJ-Set eine Bearbeitung?

Soviel ist sicher: Netaudio ist ein einfacher Weg, eine größere Zahl von Zuhörerinnen und Zuhörern zu gewinnen – ein selbst steuerbarer Vertriebsweg für Musik, auf dem man viele Menschen erreichen kann, ohne sich in Abhängigkeit von hypesüchtigen Musikmagazinen zu begeben, ohne sich mit provinziellen und trägen Stadtmagazinen herumzuschlagen. Es ist ein Weg, der frei ist von Ansprüchen einer veralteten und ungerechten Musikverwertungsgesellschaft.

Ein wichtiges Definitionskriterium für den Begriff ‘Netaudio’ so wie ich ihn benutze, ist der Fakt der Archivierung von Musik im Netz. Die Wichtigkeit dieses Kriteriums wurde mir 2009 bewusst, als meine Remix-Version des Songs “the sun is down!” der ‘yoko ono plastic ono band’ unter den Gewinnern eines Creative-Commons Remix Projektes war. Ich fand es wunderbar, dass die Band einer weltbekannten Künstlerin (bzw. deren Management) die Möglichkeiten zum Remixen schafft, indem sie einen Song von sich unter eine Creative-Commons Lizenz stellt und den Aufruf startet, einen Remix davon zu machen. Als einer der 20 Gewinner hatte ich die Ehre, ein Promopaket mit T-Shirt, Buttons usw. per Post aus Amerika zu erhalten. Enttäuscht war ich aber von zwei Dingen. Erstens waren die auserwählten Tracks nur als Stream erhältlich und schlimmer noch – zeitlich begrenzt. Nach nur wenigen Monaten verschwand die Webseite zum Remix-Wettbewerb. Erst da wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, dass die meisten Netzlabels ihren gesamten Backkatalog im Netz dauerhaft frei als Download zugänglich machen, so dass ich nach Jahren meine ersten Tracks immer noch im Netz geordnet und in akzeptabler technischer Qualität finden kann. Klar – das Gute am CC-Remix Wettbewerb war das ‘CC’. Die von der ‘yoko ono plastic ono band’ gewählte Lizenz erlaubt mir meine Version des Songs auf meiner eigenen Webseite dauerhaft in guter Qualität zum Download anzubieten.

Aus der Nähe betrachtet, sind meine Erfahrungen im Umgang mit freier Musik eher ernüchternd. Meine Beobachtungen rund um das von mir 2003 mitbegründete Dresdner Netzlabel Phonocake.org ergeben das Bild einer lokalen Elektronik-Szene, die zwar das Label als regionale Gruppe wahrnimmt – dem kostenlosen Vertriebsweg aber eher skeptisch gegenüber steht. Ich habe auch das Gefühl, dass das eigentliche Ziel vieler Musiker weiterhin der Plattenteller ist und nicht die einfache weltweite Verfügbarkeit der Tracks. Die Hoffnung von einem ‘richtigen’ Label entdeckt zu werden ist bei vielen spürbar. Ich fürchte, dass das lokal verfügbare Weblabel meist nur der Zwischenschritt sein soll, um endlich von DEM Label entdeckt zu werden, von dem man seit Jahren die Platten kauft. Platten global kaufen und mp3’s lokal veröffentlichen, würde ich es beschreiben. Doch wenn ich daran denke, wie viele Demos allein aus einer durchschnittlich großen Stadt wie Dresden bei einem der beliebten herkömmlichen Labels landen müssen – mit dem Schicksal wahrscheinlich nicht einmal angefasst zu werden, tut es mir leid um das kreative Potential der enttäuschten Einsenderinnen und Einsender. Ich finde, dass ein Weblabel genau die richtige Organisationsform sein kann, selbst eine Plattform zu schaffen, um die eigenen Produktionen selbstbewusst zu präsentieren.

Creative Commons Lizenzvertrag
Netaudio Lokal/Global von Konrad Behr steht unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported Lizenz.



Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.